Leider verloren wir schon bald den Lieferanten der Staubmäntel. Also trennte ich einen auf, zog die Fäden und entdeckte, dass er aus 22 Teilen bestand. Danach suchte und fand ich einen neuen Fabrikanten, der die Fertigung übernahm. In diesem Mantel sah ich jene sechs Versprechen verkörpert, er war das Unternehmen. Es stand nie zur Debatte, ihn jemals durch ein ähnliches Produkt zu ersetzen, obwohl wir eine Zeit lang größte Lieferschwierigkeiten hatten.
Jedesmal, wenn wir unsere Artikel nach jenen sechs Verheißungen auswählten, trafen wir die Wünsche der Kunden. Der Staubmantel, das J. Peterman-Hemd (im Kolonialstil gehalten - 99 Prozent Thomas Jefferson, 1Prozent Peterman), selbst die Stücke, die wir mit Filmklassikern verbanden - sie alle entsprachen den sechs Vorgaben. Wenn wir ihnen nicht entsprachen, gab es Misserfolge. Kurz vor dem Zusammenbruch der Firma stellten wir den Kunden in einem Jahr 2000 neue Artikel vor. Aber es ist unmöglich, 2000 Artikel herauszubringen, die wirklich romantisch, einzigartig und authentisch sind.
Einige Leute bezweifelten stark, ob wir unserem Konzept noch treu waren, als wir knapp vor dem Ende Kleidungsstücke und andere Dinge verkauften, die denen nachgefertigt waren, die in dem Filmepos "Titanic" zu sehen waren. Aber wir waren ihm wirklich treu. Der Untergang der Titanic" war eine furchtbare Tragödie, aber zugleich eine romantische Geschichte (wie das bei Tragödien häufig der Fall ist). Die Stücke glichen authentischen Filmrequisiten, doch ließen wir die Leute nie glauben, das Material dazu stamme ursprünglich von dem Schiff. Wir wollten auch nicht, dass sie dies dachten. Uns lag daran, dass Käufer sowohl eine gedankliche Verbindung zu dem Film als auch zu dem tatsächlichen Ereignis herstellten. Wir wollten Kunden dabei helfen, die Magie Hollywoods zu verspüren, indem wir den Zauber der damaligen Zeit und der Geschichte der Titanic verlebendigten.
Aber wir kamen von unserem Konzept ab, als wir Reproduktionen der Halskette "Heart of the Ocean" verkauften, die die Heldin des Films trägt. Der Artikel lief bestens, aber seinem Verkauf lag ein ausschließlich kommerzielles Interesse zu Grunde, und wir hätten es nicht tun sollen. Das Stück war nicht authentisch, viel zu sehr mit dem Film verbunden und sprach eher ein jüngeres Publikum an, nicht unsere eigentliche Zielgruppe der 35- bis 55-jährigen. Es war ein Verkaufserfolg, der unsere Marke unglaubwürdiger machte. Dagegen war der Verkauf des "Kate-Winslet-Kleides", die Kopie eines der Kostüme im Film, im Grunde kein Bruch unseres Versprechens an die Kunden. Das Kleid war im edwardianischen Stil geschneidert und passte damit auch ohne den Film gut zu uns.
Unserem Konzept blieben wir auch treu, als wir versuchten, die erfrischende Anmutung unserer Versandkataloge in unseren Einzelhandelsgeschäften nachzubilden. Das Problem mit diesen Läden resultierte aus dem Tempo, mit dem wir hier expandierten, nicht aus der Entscheidung, überhaupt zu expandieren. Darauf werde ich noch einmal zurückkommen.
Ich habe damals viel darüber nachgedacht, wie die Läden die emotionale Stimmung spiegeln könnten, der unseren Katalog in Bild und Text auszeichnete.
Und ich glaube, die investierte Zeit machte sich bezahlt. Der Trick bestand darin, die Anmutung des Katalogs noch etwas auszubauen. Genauer gesagt: Kunden sollten sich in die Scheune meiner Großmutter eingeladen fühlen.
Als ich zehn Jahre alt war, liebte ich es, zur Scheune meiner Groß-mutter zu laufen, das Tor zu öffnen und dann in einer anderen Welt zu sein. Stunden, Tage, ja ganze Sommer konnte ich damit verbringen, nach all den wunderbaren Schätzen dort zu forschen. Dieses aufregende Gefühl einer Entdeckungsreise war es, dass wir auch mit der Ausgestaltung unserer Läden auslösen wollten. Und tatsächlich gelang das. Die Geschäfte erbrachten im Durchschnitt über 500 Dollar Umsatz pro Quadratmeter Verkaufsfläche, der Laden in der Grand Central Station sogar über 800 Dollar. Ein Topanalyst von Goldman Sachs besuchte diesen Laden im Herbst 1998 und ließ uns wissen, er habe seit zehn Jahren kein erfrischenderes Einzelhandelskonzept gesehen.
Der Peterman-Online-Handel war eine andere Sache. Ich hatte nicht viel Zeit darauf verwendet, über die Möglichkeiten des Internet nachzudenken. Und ich fand es auch nicht wirklich notwendig, es zu tun. Ich wusste, dass unsere Web-Site nicht sonderlich aufregend war. Aber ich konzentrierte mich auf andere Dinge. Natürlich wurde ich auf das Web aufmerksam, als wir innerhalb von nur sechs Wochen für eine halbe Million Dollar "Heart of the Ocean"-Halsketten online verkauften. Aber ansonsten tat sich, vordem wie nachher, auf unserer Site nicht viel.
Seit ich bei J. Peterman Company ausgeschieden bin, beschäftigte ich mich viel damit, wie man als Händler über das Internet zum Erfolg kommen kann. Mein nächstes Unternehmen wird jedenfalls virtuell sein. Ich weiß nicht, ob wir bei J. Peterman eine große oder eine kleine Chance verpassten, als wir uns nicht allzusehr um das Online-Geschäft kümmerten. Aber heute darüber zu spekulieren ist müßig und würde niemandem weiterhelfen.
Die Sache mit Seinfeld
An dieser Stelle möchte ich auf "Seinfeld" eingehen, eine der in Amerika damals führenden Fernsehserien. Viele Leute sprachen mich auf die Figur des J. Peterman an; und einige meinten, es sei doch nicht besonders klug gewesen, die Rolle des Peterman nicht selbst zu spielen. Damit hätte ich eine große Chance vertan, den Effekt der Rolle in der Öffentlichkeit für mein Geschäft zu nutzen. Diese Leute meinten, ich hätte wenigstens den Schauspieler John O'Hurley, der meine Person in der Serie darstellte, unter Vertrag nehmen sollen, um meine Firma zu repräsentieren.
Ich glaube nicht, dass das richtig gewesen wäre. Gewiss, wir ließen eine Gelegenheit aus, den Namen bekannter zu machen. Doch die meisten Zuschauer von Seinfeld wussten gar nicht, dass es wirklich ein Unternehmen dieses Namens gab und dass es sich bei J. Peterman um eine reale Person handelte.
Rückblickend betrachtet hätten wir möglicherweise mehr daraus machen können. Aber unser Unternehmen mit der fiktiven Firma im Fernsehen in einen engen Zusammenhang zu bringen wäre doch ein ganz und gar kommerzieller Akt gewesen, und unser Unternehmen sollte nach unserer Kernidee ja eben nicht allzu kommerziell wirken.
Ich habe mir die Drehbücher inzwischen noch einmal angesehen. Nachdem O'Hurley meine Person in der Serie erstmals verkörperte, nahmen die Anwälte der Seinfeld-Produzenten Kontakt zu mir auf. Wir vereinbarten, dass mir die Bücher, nach denen O'Hurley mich spielen würde, vorher zur Freigabe vorgelegt werden. Und wir nahmen auch ein Kostüm aus dieser Serie in unseren Katalog auf, um unseren Kunden damit einen Fingerzeig zu geben. Aber heute bedauere ich das.
Es war eine jener vielen kleinen Schritte, mit denen wir uns Stück für Stück von der Identität unserer Marke entfernten. Zwar verkaufte sich das Kostüm recht ordentlich, doch nur deshalb, weil es gut war. Problematisch war es dennoch, weil es uns vom richtigen Weg wegführte. Es mag ein hervorragender Artikel gewesen sein, aber er stand für keines der übrigen Versprechen. Das Kostüm war weder romantisch noch außergewöhnlich, signalisierte weder Reiselust noch Authentizität. Es hatte nur Bezug zu einer völlig fiktiven Fernsehgeschichte.
Im übrigen nahm ich von Seinfeld kaum Notiz. Als die Figur J. Peterman im Mai 1995 zum erstenmal in der Serie auftauchte, stiegen gerade die Portogebühren und Papierpreise beträchtlich. Wir verzeichneten in jenem Jahr einen erheblichen Verlust, denn die Preiserhöhungen setzten uns sehr zu. Daher interessierte mich das Fernseh-Ereignis wenig, sondern allein die Frage, wie sich die Kosten in den Griff bekommen ließen.
Ladengeschäfte einrichten?
Mir begann allmählich klar zu werden, dass die Verkaufsmöglichkeiten per Katalog ausgereizt waren. Unser Bemühen, einen Versandhandel mit hochwertigen Artikeln für den privaten Verbrauch aufzubauen, erwies sich als nicht so erfolgreich, wie ich gehofft hatte.
Intuitiv ahnte ich, dass in unserer Nische mehr Umsatzpotenzial steckte als die jährlichen 65 Millionen Dollar, die wir im Versandhandel herausholten. Also fing ich an, über weitere Wachstumsmöglichkeiten nachzudenken. 1996 schafften wir es gerade noch, kostendeckend zu arbeiten. Aber noch ein weiteres mageres Jahr hätte unsere Geldgeber gewiss nervös gemacht. (Wir hatten mittlerweile einige mehr.) Sie und unsere Bank, bei der unser Kredit natürlich mit der Zeit über die anfänglichen 20 000 Dollar hinaus gestiegen war, drängten mich inständig, das Geschäft von Grund auf neu auszurichten.
Klar wurde mir auch, dass wir mehr Kapital brauchten. Aber keiner unserer damaligen Investoren zeigte den Willen, es uns zu geben. Zu diesem Zeitpunkt, es war Ende 1996, dachte ich an eine schnelle Expansion in den Einzelhandel. Zu diesem Zweck gedachte ich Manager einzustellen, die Erfahrung im Markenartikel-Handel besaßen. Schließlich wollten die Investoren ausgewiesene Fachkräfte unter unseren Mitarbeitern sehen.
Neuausrichtung und Niedergang
Auf dem Papier erschienen die Expansionspläne und der Zeitrahmen für ihre Umsetzung sinnvoll. Letztlich bestellt nur jeder Vierte etwas per Katalog, aber fast jeder kauft in Läden ein. Unsere bis dahin bestehenden Geschäfte liefen gut - ein Vollpreis-Laden in Lexington, Kentucky, sowie zwei Outlets in Tennessee und Vermont. Der Ausbau des Einzelhandelsgeschäfts kam uns zudem als geeigneter Weg vor, unsere Finanzen wieder in Ordnung zu bringen. Für Werbung gaben wir inzwischen viel zu viel aus. Noch 1996 erreichten wir daher die Gewinnschwelle, indem wir die Werbekosten senkten und weniger Kataloge verschickten, nämlich nur an kauffreudige Kunden.
Parallel hätten wir allerdings das Sortiment verkleinern müssen. Stattdessen erweiterten wir es noch in der Annahme, es werde sich mehr verkaufen lassen, wenn das Angebot reichhaltiger sei. Verkündeten das schließlich nicht auch viele Marktforscher? Aber als wir in unseren Einzelhandelsgeschäften dieser "Mehr-ist-besser"-Theorie folgten, versagte sie völlig.
Je mehr Artikel wir anboten, desto stärker büßte jeder neue an Identität eine - desto weniger war er "Peterman". Zudem brauchten wir zusätzliche Mitarbeiter, denn anders wäre das größere Sortiment nicht zu bewältigen gewesen. Es war der Anfang vom Ende. Das erkannte ich damals allerdings noch nicht.
Und dann kam 1998 - das Jahr, in dem wir besonders aggressiv in den Einzelhandel investierten. Damit eines klar ist: Ich allein wäre nicht so schnell vorgegangen. Aber wir mussten so flott expandieren, weil wir die von uns gewünschten Finanzspritzen sonst nicht bekommen hätten. Heute sehe ich, dass ich ohne dieses zusätzliche Kapital das Sortiment wohl zusammengestrichen hätte. Damals fehlte mir der Blick dafür. Expansion schien mir gleichbedeutend mit Überleben.
Die vielen neuen Artikel erforderten wiederum neue Geschäftsprozesse und ständig mehr Personal. Wir änderten viel zu viel auf einmal, ein Rezept für Unheil. Über das überreichliche Sortiment hinaus musste ich mich nun noch mit Problemen herumschlagen, die die Mitarbeiter und die Organisation betrafen. Es hing alles zusammen.
Anfänglich hatte ich nicht das Geld, um viele Leute mit erstklassigen Referenzen anzuheuern. Die meisten unserer Verkäufer stammten aus den eigenen Reihen und hatten immer eng mit mir zusammengearbeitet. Das war wohl auch richtig so, denn es hatte den großen Vorzug, dass wir Talente selbst entwickeln konnten. Natürlich müssen Leute, die als Insider Karriere machen wollen, zunächst eine gewisse Begabung mitbringen.
Aber ich merkte auch, dass man nie zu früh urteilen sollte. Unsere besten Leute brauchten ein Jahr, um ihr Potenzial voll zu entfalten. Nehmen wir Paula Collins als Beispiel. Als ich sie 1990 als "Mädchen für alles" einstellte, hatte sie zuvor als Sekretärin für einen Burschen in White Plains, New York, gearbeitet, der Nieten und Bolzen exportierte.
Paula schien zunächst nicht besonders begabt zu sein, aber sie legte eine großartige Arbeitsmoral an den Tag, eine hohe Lernbereitschaft und einen außerordentlichen Elan. Schon bald wurde Paula Einkäuferin von Artikeln speziell für Frauen. Kam sie mit dem Vorschlag für einen neuen Artikel zu mir, sagte ich für gewöhnlich: "Das ist nicht das Richtige. Das passt nicht zu unserem Geschäft." Sie fragte dann, warum und wieso, und wir gingen die Sache genau durch.
Paula lernte laufend und war ständig bemüht herauszufinden, worauf es in unserem Geschäft ankam. So entwickelte sie sich schließlich zu einer der besten Einkäuferinnen der Branche.
Das Problem, vor dem wir 1997 und 1998 standen, war klar: Uns fehlte auf einigen Gebieten die fachliche Expertise, die wir für unsere Expansion in den Einzelhandel gebraucht hätten. Und so mussten wir uns nach Spezialisten umsehen, die diese Lücken schließen würden. Von anderen Unternehmen Spitzenleute abzuwerben ist grundsätzlich keine schlechte Idee. Ich kann auch nicht leugnen, dass wir frisches Blut brauchten. Außenseiter bringen neue Energie und Ansichten herein, und wir fanden wirklich sehr tüchtige Leute. Die können freilich nur gute Arbeit leisten, wenn man sie auch tatsächlich gewähren lässt. Dazu bekamen sie bei uns aber nie die Gelegenheit.
Wenn Sie Geschäftsprozesse ändern - Einkauf, EDV oder Vermarktung -, sind die besten Leute im Unternehmen gefordert, denn sie kennen das Geschäft und können es während der Umstellungen auf Kurs halten. Sind die neuen Systeme eingerichtet, ist es einfacher, tüchtige Fachkräfte von außen hinzuzuholen, weil sie im Rahmen der festgelegten Richtlinien arbeiten können.
Wir änderten jedoch Systeme und Personalstruktur gleichzeitig. So war der Boden in ständiger Bewegung, und die Neuen konnten nie richtig Fuß fassen. Wir hätten eine sorgsam kontrollierte Übergangszeit gebraucht. Statt dessen drosselten wir das Tempo nie genug, um für den Übergang Zeit zu lassen, geschweige denn, um ihn überlegt zu managen.
Kulturelle Dissonanzen
Was immer wir unternahmen und wie wir es taten, es brachte Probleme auf mehreren Ebenen. Erstens fühlte sich unsere alte Belegschaft zurückgesetzt. Die Neulinge verdienten in vielen Fällen mehr, weil wir ihnen wenigstens das Gehalt in ihrer bisherigen Tätigkeit zahlen mussten, um sie überhaupt für uns zu gewinnen. Und sie standen mehr im Scheinwerferlicht. Wurden Entscheidungen fällig, schenkten wir ihnen mehr Gehör als unseren alten Mitarbeitern.
Zweitens nahm unsere Kultur allmählich Schaden. Das Einstellen neuer Leute bereitete uns keine großen Schwierigkeiten, denn es war allgemein bekannt, dass bei uns Kreativität und gegenseitiger Respekt viel galten. An Kandidaten, die unter solchen kulturellen Bedingungen arbeiten wollten, herrschte daher kein Mangel. Stellt man indes Leute ein, die eine Kultur erlebt haben, in der Respekt wenig gilt oder in der viel beaufsichtigt wurde, dann ist das genauso, als wenn ein misshandelter Hund zu einer tierfreundlichen Familie kommt - es braucht viel Zeit, Geduld und positive Verstärkung, bis ein solches Geschöpf Vertrauen fasst und erkennt, dass es nicht geprügelt wird, sobald sich ihm jemand nähert.
Fehlt es an Zeit für diese ständigen positiven Verstärkungen, werden die Neulinge naturgemäß in ihre alten kulturellen Gewohnheiten zurückfallen. Die kennen sie schließlich am besten. Werden sie nicht fortgesetzt daran erinnert, dass sie nun Handlungsfreiraum haben - und ihnen zur Nutzung von der Organisation die Möglichkeiten gegeben werden -, so werden sie an ihre alte Kultur anknüpfen und Mauern zwischen Menschen, Führungsebenen und Abteilungen errichten, wo vorher keine waren. Wir hatten zu wenig Zeit, unsere Kultur, die wir für unerschütterlich hielten, noch weiter auszubauen. Deshalb wuchs das neue, vergrößerte Team nicht zu einer Einheit zusammen. Häufig gab es Reibereien und Wirrwarr.
In unserer ursprünglichen Kultur wussten alle, dass es auf jeden einzelnen ankam und der Leistungsbeitrag eines jeden wichtig war. Kultur kann nicht verordnet, sondern muss nach und nach verinnerlicht werden. Nur bis ungefähr 1997 ließen wir Neulingen noch genug Zeit, unser Kulturverständnis in sich aufzunehmen.
Dafür ein kleines Beispiel: Das ganze Jahr 1996 hindurch frühstückte ich jeden Freitag mit einer wechselnden Gruppe von acht Mitarbeitern, die aus allen Führungsebenen und Arbeitsbereichen nach dem Zufallsprinzip zusammenkam. Die einzige Regel beim Frühstück hieß: "Hier gelten keine Regeln." Ich bat die Leute, mich alles Mögliche zu fragen, Persönliches wie Geschäftliches. Es ging einfach darum, uns besser kennen zu lernen. Das Ganze kostete nur eine Stunde pro Woche, doch es war wichtig. Ich konnte den Mitarbeitern damit zeigen, dass ich mich für sie interessierte. 1997 gab es dann viel zu tun. Ich war ständig unterwegs, um Geld aufzutreiben. Ich arbeitete 12 bis 14 Stunden täglich, und das siebenmal in der Woche. Das gemeinsame Frühstück fiel dieser Hektik zum Opfer. Schon das spricht Bände.
Im Nachhinein meinten einige Kritiker, unsere Kultur habe den Leuten zu viele Freiheiten gelassen und dadurch maßgeblich zum Untergang der Firma beigetragen. Das stimmt nicht. Ich stehe zu der Kultur, die wir anfänglich hatten - und zu bewahren suchten. Nicht wegen dieser Kultur sind wir bankrott gegangen, sondern weil sie später in Auflösung geriet.
Das Ende
Beim Niedergang der J. Peterman Company kamen mehrere Ursachen zusammen. Gewiss haben wir Fehler gemacht, aber wir hätten sie überleben können. Wir hätten auch die externen Geschehnisse, die auf uns einstürzten, aber außerhalb unserer Kontrolle lagen, überstehen können. Was uns am Ende den Hals brach, war diese Kombination von eigenen Fehlern und externen Faktoren. Es türmten sich einfach zu viele Hürden auf einmal vor uns auf.
Zum einen war unser Geschäftsplan für das Jahr 1998 zu sehr auf das letzte Quartal ausgerichtet, das heißt, dass wir uns zu sehr auf die hohen Umsätze in den letzten drei Monaten des Jahres verließen. Dem lag eine gravierende Fehleinschätzung des Direktverkaufs zu Grunde. Wir hatten angenommen, dass wir mehr Ware verkaufen würden, wenn wir den Kunden mehr davon anbieten - per normalem Katalog in der einen Woche und per Broschüre mit langlebigen Gebrauchsgütern in der nächsten. Aber wir verkauften nicht mehr. Beide Aussendungen konkurrierten miteinander um die "Peterman-Dollars" unserer Kunden.
Schließlich verdoppelten wir unsere Ausgaben für Werbung, doch die Verkaufszahlen blieben gleich. Während wir in Erwartung schnell wachsender Umsätze im nächsten Jahr die Organisation ausbauten, ließen sich die anvisierten Verkäufe nicht realisieren.
Was das Wachstum eines Unternehmens angeht, so gibt es zwei Ansichten. Nach der einen sollte die betriebliche Entwicklung dem Geschäftswachstum erst verzögert folgen. Die Gefahr dabei ist, dass das Geschäftsvolumen derart zunimmt, dass die Organisation kollabiert, weil es für die höhere Arbeitslast an den notwendigen Mitarbeitern fehlt. Der anderen Ansicht zufolge sollte erst die erforderliche größere Organisation geschaffen werden, die für die Abwicklung des erwarteten größeren Geschäfts notwendig war.
Diesen Weg haben wir auf Drängen der Risikokapitalgeber beschritten; und er stürzte uns letztlich in eine Liquiditätskrise. Ich will meine Gefühle nicht verhehlen; ich bin darüber sehr verbittert.
Nichts schien zu funktionieren. Inmitten aller Turbulenzen ersetzten wir auch noch unseren alten Katalog durch einen neuen. Das Sortiment des ersten war zwar insgesamt nicht schlecht aufgenommen worden, doch auch nicht sonderlich profitabel. Wir glaubten, es besser machen zu können. Doch die Umstellung des Sortiments kostete zu viel Zeit und Geld. Es war ein Stolperstein, und weitere konnten wir nicht mehr verkraften.
Die Vergrößerung unseres Produktangebots verwirrte nicht nur unsere Kunden. Wir mussten auch weitere Mitarbeiter für den Einkauf einstellen, mit neuen Herstellern zusammenarbeiten und so weiter. Damit entstand eine verhängnisvolle Spirale. Um auf der Höhe zu bleiben, ersetzten wir obendrein unser altes Lagerhaltungssystem durch ein neues, aber mit dem kamen wir nie zurecht. Bis zum Schluss war unser Bestandsmanagement nicht gut - und das ist noch sehr freundlich gesagt.
Und dann unterlief unserer Bank noch ein gravierender Fehler, der unsere finanzielle Lage schlimmer aussehen ließ, als sie tatsächlich war. Zwar wurde der Irrtum bald erkannt, doch die Leute , die unser Konto verwalteten, verhielten sich weiterhin panisch. Sie fingen an, uns unter Druck zu setzen - das war sicher legal, aber meines Erachtens unmoralisch. Sie verweigerten uns das erwartete Geld zur Finanzie rung unserer neuen Einzelhandelsläden und verkürzten unsere Kreditlinien um einige Millionen Dollar.
Da standen wir nun: schleppende Verkäufe, überhöhte Fixkosten, zu große Bestände und weniger Kredit. Nehmen Sie noch die Probleme in unserer Druckerei hinzu, durch die sich die Herstellung eines unserer Versandkataloge um drei Wochen verzögerte, was wiederum die Verhandlungen mit einer anderen Bank belastete, so verstehen Sie die entstandene Liquiditätskrise.
Am Ende zogen sich die Risikofinanziers zurück, und wir waren zur Neustrukturierung nicht mehr fähig. Kurz vor Toresschluss gab es noch einige Rettungsversuche, aber keiner brachte Erfolg. Ich hatte das Gefühl, in einem abstürzenden Flugzeug zu sitzen. Wir drehten eine Spirale bei 30 000 Fuß, fingen uns wieder bei 20 000, drehten eine neue bei 10 000 und hatten dann keine Höhe mehr. Unsere Lieferanten wurden mit heruntergerissen und unsere Mitarbeiter ebenso. All das bedauere ich sehr. Am 5. März 1999 kaufte dann Paul Harris die Firma - das Lager, sonstige Vermögensteile und den Handelsnamen J. Peterman. Das ist das Ende der Geschichte.
Das Resümee
Bei der Umstellung der Firma auf das größere Geschäftsvolumen und manchen Maßnahmen hatte ich meinen Führungskräften viel freie Hand gelassen. Ich hätte öfters nein sagen müssen. Doch Manager zu managen war nie mein Ziel, wenngleich unvermeidlicher Teil der Anforderungen, die sich aus meiner im Kern guten Geschäftsidee ergaben. Nun glaube ich, aus dieser Erfahrung die nötigen Lehren gezogen zu haben, Probleme und Konflikte das nächste Mal besser zu meistern. Ich weiß Situationen objektiver zu beurteilen und die richtigen Signale zu setzen. Künftig werde ich solche Dinge richtig machen.
Aber ich muss nicht um jeden Preis eine bestimmte Firma führen. In erster Linie fühle ich mich als Unternehmer. Ich möchte etwas Neues erschaffen, denn mich reizt die Herausforderung. Und heute verstehe ich mehr davon, was es heißt, als Entrepreneur Erfolg zu haben - ich kenne nun die Höhen wie die Tiefen. Und ich bin bereit, es noch einmal zu versuchen.
(c) 2000 by the President and Fellows of Harvard College; ursprünglich veröffentlicht in Harvard Business Review, September/
Oktober 1999, unter dem Titel "The Rise and Fall of the J. Peterman Company". Übersetzung: Dr. Anita Krätzer und Dr. Margit Popp.